Eine M/M-Romanze verpackt in einem Thriller aus den Thriller
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Haupttropen
- Familie gefunden
- Coming Out
- Romanze der zweiten Chance
- Liebe finden
- Sexuelles Erwachen
- One-Night-Stand
Gefangen oder bereits tot? Wer kann das in einem Krieg wissen?
Will Shaw und seine Freunde sind typische College-Studenten, die sich auf Tänzen und Partys amüsieren, ohne sich groß um das Leben danach zu kümmern.
Als Thomas, ein gut aussehender Marineoffizier und gerade frisch auf dem Campus eingetroffen, beinahe in Will und seine Freunde stolpert. Wills Herz beginnt heftiger zu schlagen, obwohl er nicht versteht, warum. Funken von etwas Neuem brechen in ihm auf und öffnen ihm die Augen für Möglichkeiten, die er sich nie hätte träumen lassen.
Im schwindelerregenden Nebel einer verbotenen Zweisamkeit und in der Sicherheit der Campus-Blase scheinen die Probleme der Welt weit entfernt zu ein.
Bis sie es nicht mehr sind.
Deutsche Panzer rollen durch Europa, und Japan greift Pearl Harbor an.
Es gibt keinen sicheren Ort mehr, an dem man sich verstecken kann.
Gezwungen, ihren Teil beizutragen, melden sich junge Menschen in Rekordzahlen. Will und seine Freunde reihen sich in die Schlange ein.
Doch anstatt in einem Bus zur Grundausbildung gefahren zu werden, wird Will in die Welt der Schatten und Geheimnisse gestoßen.
Of Shadows & Secrets ist eine langsam aufflammende MM-Romanze, verpackt in einen Thriller, eine Serie, die viele große Abenteuer für die Zukunft bereithält.
Auch erhältlich bei:
Chapter One
Chapter One
Bauke
Wie wunderbar ist es, dass niemand einen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern!
Anne Frank Tagebuch 1944
Ich hasste die frühen Morgenstunden im Herbst, wenn die Sonne nicht daran dachte, vor mir aufzustehen.
Meine Schwester liebte das, sie war da wohl etwas verrückt.
Der dritte Morgen im Oktober war da nicht anders als die anderen. Ich krabbelte unter meiner warmen Decke raus, streckte mich, machte kurz Halt im Badezimmer, um zu pinkeln, um mich dann auf den Weg in die Küche zu machen. Mein Magen gurgelte, als ich den Geruch von brutzelndem Speck schon im Flur riechen konnte.
Ob das Sarr ist?, wunderte ich mich.
Unsere Moeder und unser Vader hatte uns gesagt, wir sollten den Tieren keine Namen geben, aber wir konnten irgendwie nicht andres. Lianne war da noch schlimmer als ich. Sie sah die meisten immer, bevor deren Mütter sie überhaupt gesehen hatten, noch so schleimig und ekelig. Sie hatte die Kleinen mehr oder weniger immer gleich aus den Armen unseres Papas rausgerungen. Einige von denen wollten zu Anfang erst gar nicht ihre Augen öffnen, aber andere, wie Sarr, blinzelten sofort und dann würde ich die am liebsten gleich knuddeln.
Ich hoffte also, dass das Frühstück nicht Sarr war.
Manchmal mussten wir im Krieg Dinge tun, die wir hassten, wie zum Beispiel die Tiere zu essen, den wir Namen gegeben hatten, anstatt sie auf dem Markt zu verkaufen oder den Essensammler der Nazis zu geben. Ich wusste ja, dass von uns verlangt wurde, unseren Teil dazu beizutragen. Die von der Hitler-Jugend an unserer Schule haben uns das ja immer wieder eingetrichtert. Trotzdem fühlte es sich schlimmer an, wenn sie von den Männern mit den Gewehren geholt wurden, als sie an andere Bauern abzugeben oder an Meener Vermeer. Er war der Metzger bei uns in der Stadt, was auch immer das dann bedeutete. Auf jeden Fall war er immer nett.
„Guten Morgen, mein Schätzchen“, sang Mama förmlich, als ich in die Küche trat. Sie wusste, dass ich es nicht leiden konnte, wenn sie mich Schätzchen nannte, aber sie tat es trotzdem. „Hungrig?“
Ich nickte und kletterte auf den Korbsessel, auf dem ich immer saß, wenn wir aßen. Lianne war schon halb fertig mit ihrem Frühstück. Einer ihrer langen Zöpfe fiel ihr ständig vorn auf ihrer Brust und wackelte jedes Mal herum, wenn sie ihre Gabel benutzte. Ich musste lachen, als er ihr fast auf ihren Teller landete, als nach ihrem Glas mit Saft griff. Sie schaute hoch und streckte mir die Zunge raus, dabei konnte man in ihren Mundwinkeln ganz genau ein Grinsen erkennen.
Ein Teller mit zwei Streifen Schinkenspeck, ein gekochtes Ei und eine Scheibe getoastetes Brot mit Erdbeermarmelade landete vor mir.
„Iss auf. Heute fällt die Schule aus, Papa braucht deine Hilfe“, sagte meine Mama, bevor sie meinen feurigen Haarschopf nach hinten strich und mir einen Kuss auf die Stirn gab. So wie sie meine Haare wieder losließ, fielen meine Locken auch schon wieder dahin zurück, wo sie immer waren.
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich mehr aufgeregter oder enttäuschter sein sollte. Dass Papa mich brauchte, bedeutete Arbeit. Schule bedeutete aber auch Arbeit. Die Hitler-Jugend ließ uns auch arbeiten. Es war ganz egal, wo wir waren oder was wir wollten, wir mussten arbeiten.
Ich schielte zu Lianne und hoffte, dass sie eine Ahnung hatte, was auf uns heute zukommen würde. Aber sie zuckte nur mit ihren Schultern und konzentrierte sich weiter auf ihren Teller.
Plötzlich war von draußen Bellen zu hören.
Mama spähte aus dem Fenster über der Spüle, dann lachte sie und schüttelte ihren Kopf dabei. Unser kleines Rudel von Drentser Hühnerhunde waren so treu, wie Hunde nur sein konnten. Aber sie waren auf unserem Hof mehr albern als hilfreich. Die meiste Zeit musste Papa mit ihnen schimpfen, weil sie unsere armen Hühner ständig Schrecken einjagten.
Ihre Schlappohren waren aber echt lustig.
„Beeil dich, sieh zu, dass du fertig wirst“, wies mich Mama dann an. „Papa ist bestimmt schon im Stall bei den Kühen.“
Immerhin mussten wir nicht auf den Feldern arbeiten. Das war das einzige Gute am Herbst und Winter. Die Pflanzen schliefen und der Boden war zu fest. Das Einzige, um das wir uns noch kümmern mussten, waren die Tiere. Die meisten davon waren bei uns Kühe. Manchmal hatte ich das Gefühl, wir hatten so viele, dass man sie gar nicht zählen konnte. Aber Papa wusste immer ganz genau, wie viele es sein sollten. Da war er richtig gut drin.
Wir hatten auch ein paar Schafe und einen Haufen Schweine.
Die Schweine mochte ich am liebsten.
Ich schluckte meinen letzten Bissen Speck herunter, trank meinen Saft auf, schob meinen Sessel nach hinten und beweget mich in Richtung Tür. Widerstrebend folgte mir Lianne.
Wenn wir noch vor Sonnenaufgang anfingen, hatte ich immer das Gefühl, dass so ein Tag nie enden würde.
***
Als die Sonne dann ihren Höhepunkt erreicht hatte, hatten wir alle Kühe gemolken, die Schweine gefüttert und die Schafe dahin gescheucht, wo sie noch genügend Gras zum Fressen finden konnten. Papa hatte entlang eines Zaunes noch Heu ausgestreut, damit sie noch genug zu fressen hatten, falls sie noch Hunger hatten, sollte das Gras nicht mehr ausreichen.
Als wir zurück zum Haus stapften, umringt von unserer Rasselbande an Hunden, die wahrscheinlich dachten, dass sie uns nach Hause treiben würden, hielt Papa seine Hand wie ein Schild schützend über seine Augen.
„Die Nazis kommen, um ihre wöchentliche Zuteilung abzuholen“, sprach er mehr zu sich selbst. „Lauft schnell ins Haus, ihr zwei. Und sagt Mama, sie soll alles für Leutnant Huber vorbereiten.“
Liannes Augen wurden glasig und ihre Wangen röteten sich. „Was?“ Sie schubste mich an der Schulter. „Er sieht gut aus.“
Papa rollte mit seinen Augen. „Jetzt lauft schon nach Hause. Ich möchte, dass ihr im Haus seid, wenn die kommen.“
Die Küchentür war gerade hinter uns ins Schloss gefallen, als das Auto der Deutschen zum Stehen kam und Staub von unserer Schotterauffahrt in allen Richtungen aufwarf. Der Lastwagen, der dann folgte, wirbelte noch eine größere Wolke auf.
Mehr als eine Stunde später kündigte das Quietschen der Küchentür Papas Ankunft an.
„Isa!“, rief er nach Mama. „Isa, sie sind weg. Wo bist du?“
„Ich komme.“ Mamas Schritte hallten von Holzfußboden im Flur wider, kurz bevor dann ihre Stimme das Gleiche tat. „Baucke macht seine Rechenaufgaben und Lianne liest in einem ihrer Liebesromane. Ich schwöre, dieses Mädchen wird noch zu Zuckersirup, bevor sie erwachsen ist.“
Papas volles Lachen erfüllte unser Haus mit Wärme.
In dem Moment, wo sie anfingen zu flüstern, legten Lianne und ich unsere Bücher beiseite und wir näherten uns unseren Eltern heimlich. Wir hassten es, wenn die Erwachsenen Geheimnisse vor uns hatten.
„… drei Schweine, zwei Schafe und sie kommen noch einmal für ein Dutzend Kühe wieder“, flüsterte Papa.
Das Knarzen eines Küchenstuhls ließ mich wissen, dass Mama sich an den Tisch gesetzt hatte. „So viele?“
„Seit den Streiks …“
Ihr Stimmen wurden plötzlich von den Hunden übertönt, die draußen weiß der Himmel was ankläfften.
„Die Streiks?“, sagte ich ganz leise zu Lianne.
Sie legte ihre Hand um ihren Mund, um ihre Stimme zu unterdrücken. „Erinnerst du dich? Letztes Frühjahr, als alle Bergleute und andere Arbeiter ihre Arbeit niederlegten, um dagegen zu protestieren, dass die Reichskammer sie zwingen wollte, für die Nazis zu arbeiten?“
Ah. Diese Streiks. Die im Frühjahr waren zwar nicht die ersten, aber sie waren die Größten gewesen. In den Zeitungen – zumindest in denen, die wir noch bekommen konnten – war zu lesen, dass viele Leute aufgehört hatten zu arbeiten. In einer Region wurden so viele Bauernhöfe in Brand gesteckt, dass sich der Himmel rot färbte.
Reichskommissar Seyß-Inquart
hatte dann viele Menschen erschießen lassen.
Papa hatte uns von da an keine Zeitungen mehr lesen lassen. Ich konnte nicht wirklich verstehen, warum das Lesen einer Zeitung gefährlich sein sollte, aber das war das, was er gesagt hatte. Die meisten der großen niederländischen Zeitungen hatten, als die Deutschen kamen, eh aufgehört zu drucken.
Wir konnten noch etwas Radio hören, aber das war dann zum größten Teil auch nur noch deutsch. Wir mussten deutsch in der Schule lernen, aber ich war nicht sehr gut darin. Aus irgendeinem Grund wurden dann auch die niederländischen Sendungen, die wir gehört hatten, eingestellt.
Wir warteten dann noch schweigend eine ganze Zeit, bis wir dann hörten, wie Mama mit ihren Töpfen und Pfannen rumhantierte und uns klar wurde, dass die Unterhaltung damit wohl zu Ende war. Dann huschten wir aus unserem Versteck, als Papa um die Ecke kam, um sich in seinen Lieblingssessel im Wohnzimmer hinzusetzen. Nach einem langen Tag draußen räumte er die meisten Nachmittage auf, bevor er sich dasselbe Buch schnappte, dass er vorgab, schon seit Jahren zu lesen, setzte sich und schlief ein, mit besagtem Buch auf seinem Schoss. Er wachte dann erst wieder auf, wenn Mama ihn mit dem Pfannenwender oder mit einem Holzlöffel anstupste. Das plötzliche Grunzen seines unterbrochenen Schnarchens war dann unser Zeichen, uns für das Abendessen fertig zu machen.
An diesem Abend mischte sich der rauchige Duft von Würstchen mit einem Hauch von Rüben, als Mama die dampfende Schüssel mit Stamppot
mitten auf den Tisch stellte. Seit die Deutschen die Macht übernommen hatten, sprachen viele Leute davon, wie rar Fleisch geworden wäre. Aber ich hatte nicht wirklich etwas davon bemerkt. Ich dachte mir, dass das dem glücklichen Umstand des Lebens auf einem Bauernhof zu verdanken war. Wir mussten immer was an die Truppen abgeben, aber wenn die Nazis Milch wollten, konnten sie uns nicht alle Kühe wegnehmen. Ich wusste nicht, warum sie uns auch die anderen behalten ließen, aber ich war froh darüber. Stamppot war eines meiner Lieblingsgerichte und ohne Würstchen schmeckte es nicht einmal halb so gut.
Lianne half Mama dann, den Tisch abzuräumen und abzuwaschen, während Papa und ich ins Wohnzimmer gingen. Wir hatten uns gerade erst hingesetzt, da fielen ihm schon die Augen zu und sein Atem wurde langsam und gleichmäßig. Ich saß ihm gegenüber auf der Couch und ließ meinen Blick über den Wohnzimmertisch gleiten, um etwas zu finden, womit ich mich beschäftigen könnte. Die Ecke einer Zeitung lugte unter einem unordentlichen Haufen von alten Zeitschriften hervor. Ich nahm den Zipfel zwischen meine Finger und zog sie langsam heraus.
Ich war überrascht, dass ich Niederländisch erkannte und kein Deutsch. Der Name der Zeitung war Trouw
in fetter Blockschrift. Ein von Hand gezeichnetes Bild der Königin Wilhelmina, wie sie eine aufgehende Sonne beobachtete, unterstrich sozusagen den verbotenen Charakter dieser Zeitung in den von den Nazis kontrollierten Niederlanden.
DE KONIGIN SPRAK (Die Königin spricht)
Landgenoten in Nederland (Landsleute in den Niederlanden)
„Sohn, was machst du da?“ Papa riss mir die Zeitung aus den Händen, bevor ich nach der Begrüßung durch die Königin noch irgendetwas hätte lesen können. Er faltete sie ordentlich zusammen, erhob sich von seinem Sessel und steckte sie in eine der Schubladen seines Rollschrank-Schreibtisches. Was er dann tat, überraschte mich mehr als das Wegschnappen: Er verschloss die Schublade und steckte den Schlüssel in seine Tasche.
Als er sich wieder in seinen Sessel setzte, lehnte er sich nicht zurück, um wieder zu schlummern, sondern er blieb vorn auf der Ecke sitzen und suchte Augenkontakt mit mir. „Hör mir zu, Bauke. Ich möchte, dass du vergisst, dass du das gesehen hast, klar? Das existiert hier gar nicht. Wir sind dem Reich gegenüber treu und hegen keine Liebe mehr zu der Königin. Hast du mich verstanden?“
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, als ich versuchte, das große Ganze zu verstehen, worum es hier ging. Alles, was ich sehen konnte, war die Königin, die einen Sonnenaufgang ansah. Ich wusste, dass Mama und Papa unsere Königin liebten. Nichts davon ergab einen Sinn.
„Ja, Papa. Aber –“
„Kein aber. Du tust, was ich dir sage. Die einzige Zeitung, die du hier seit Jahren im Haus gesehen hast, ist eine Deutsche Zeitung. Und du kannst deutsch nicht gut genug lesen, um zu verstehen, was darinsteht.“
„Immerhin stimmt das“, murmelte ich.
Seine verschwielte Hand griff in meine Schulter. „Bauke, hör auf. Das ist wichtig.“
„Entschuldige, Papa. Ich verspreche es.“
Er starrte mich einen Moment lang an, dann ließ er mich los und lehnte sich zurück. Dennoch schien er sich nicht zu entspannen. Ich konnte daran erkennen, wie er seine Stirn runzelte und seine Augen sich bewegten, dass er über etwas nachdachte.
„Papa“, fragte ich.
Er sah zu mir rüber und grunzte leicht.
„Warum lieben wir die Königin nicht mehr? Du hast immer gesagt, sie wäre so etwas wie unsere Moeder oder so.“
Er starrte und machte das wieder mit seinen Augenbrauen. „Die Moeder unserer Nation, das ist richtig.“ Dabei nickte er langsam. Als er dann endlich wieder anfing zu sprechen, klang es so, als hätte er Schwierigkeiten, die richtigen Wort zu finden. „Sohn, wenn du älter bist, wirst du eine Frau für dich finden und dann unser Haus verlassen. Du wirst dich von deiner Moeder abwenden und dann deine eigene Familie gründen.“
Er schluckte ein oder zweimal und sah dabei runter auf seine Hände, während er sprach. „Unsere Nation hat unsere Moeder verlassen. Wir sind jetzt mit den Deutschen verheiratet.“
Seine Lippen verzogen sich so, als hätte er etwas Bitteres gegessen, aber er redete nicht mehr weiter.
Ich dachte für einen Moment nach. „Macht das Hitler zu unserem Vader?“
Irgendetwas schien sich vor seinem inneren Auge abzuspielen und sein ganzer Körper spannte sich an. Es war so, als ob sein ganzer Körper für einen Moment aufhörte zu funktionieren.
„Nein, mein Sohn, nein. Wir haben jetzt keine Eltern mehr.“
Wir hatten an dem Abend nicht mehr geredet. Papa starrte in das Bücherregal, bis Mama und Lianne einige Zeit später zu uns kamen.
„Dürfen wir jetzt rausgehen?“ Lianne durchbrach die endlose Stille, die unser Wohnzimmer eingenommen hatte, und die mir nicht gefiel.
„Wenn ihr euch warm einpackt“, antwortete ihr Mama. „Und ihr verlasst nicht den Hof. Nicht weiter als bis zum Zaun, verstanden?“
„Ja, Mama“, entgegnete Lianne, sprang auf und drehte sich zu mir. „Na, komm schon.“
Mehr brauchte ich nicht.
Ich sauste von der Couch, fest entschlossen schneller zu sein als jeder Protest, der von unseren Eltern noch kommen konnte. Sie hatten meiner älteren Schwester die Erlaubnis gegeben, aber kein Wort davon gesagt, dass sie mich auch gehen lassen würden. Glücklicherweise hatten die beiden nicht gesehen, dass ich auch den Raum verlassen hatte.
Einige Augenblicke später waren Lianne und ich in mehreren Lagen von Pullovern und dicken Mänteln eingepackt. Der Winter war dieses Jahr früher gekommen und der Wind, der von der Nordsee kam, war eiskalt.
Das war uns aber egal. Alles war besser, als gelangweilt in unserem Haus eingesperrt zu sein.
„Glaubst du, dass sie heute Nacht auch wieder kommen werden?“, wollte ich von Lianne wissen und lächelte über die kleinen Wölkchen, die nach jedem Wort aus meinem Mund aufstiegen.
Sie nickte. „Ich denke schon. Die sind seit fast einem Monat jede Nacht gekommen.“
Und als ob sie uns Tausende Meter über uns hören könnten, hallte das ferne Summen der amerikanischen Bomber durch den Himmel. Ich wirbelte herum und blickte dabei nach oben. Sah aber nichts außer den finsteren Nachthimmel. Und Wolken. Nur einige Sekunden später war das entfernte Heulen der Luftschutzsirenen aus Emden zu hören
. Die Bucht vor Emden, der Dollart, war riesig und war an dem Weitest entfernt gelegenen Punkt auf der anderen Seite vom Hafen. Aber das Wasser übertrug die Geräusche der Bombardierung so deutlich, dass wir manchmal das Gefühl hatten, wir wären da mittendrin und nicht auf der anderen Seite in einem anderen Land.
„Da kommen sie!“, schrie ich fast.
„Los, komm“, rief sie mir zu und wechselte vom Gehen ins Laufen.
Mein Stolz würde es nicht zulassen, von einem Mädchen geschlagen zu werden, also legte ich noch einen Zahn zu und lief an ihr vorbei, wobei ich dann fast mit der Nase voran in unserem Holzzaun landete. Eine unserer Kühe, die in der Nähe träge kaute, blickte mit nur wenig Interesse hoch.
Zuerst hörten wir das Feuern der Flugabwehrgeschütze, dann das Kreischen der fallenden Bomben, auf das dann die Detonationen folgten, die so laut waren, dass wir uns instinktiv duckten, weil wir fühlten, sie würden über auch uns fallen. Die Nacht, die zu vor noch schwarz gewesen war, erleuchtete jetzt in Farbtönen von Scharlachrot bis Ginger. Die Stadt Emden selbst strahlte noch heller.
„Zwei Dutzend“, murmelte Lianne, als die Bomben weiter fielen. „Achtundzwanzig, neunundzwanzig…“
„Warum zählst du?“
Sie deutete mir an zu schweigen. „Einunddreißig, zweiunddreißig, dreiunddreißig …“
Einer der Bomber war getroffen und schleuderte zu Boden, wo er dann auf der anderen Seite der Stadt in Millionen Teile explodierte.
„Wow! Das war größer als eine der Bomben“, rief ich erstaunt.
Lianne war einen Moment leise – wie ich vermutete, wohl immer noch am Zählen – bevor sie reagierte. „Die hatten wohl sicher noch alle Bomben an Board, als sie abgestürzt sind.“
Dann bekreuzigte sie sich und schloss kurz ihre Augen.
Ich starrte zu ihr hoch. Sie kannte doch niemanden in diesen Flugzeugen. Sie kannte auch niemanden in Emden. Für wen würde sie da beten …
„Komm, gehen wir näher ran“, wies sie mich förmlich an. Ich sah mit aufgerissenen Augen zu, wie sie auf den Zaun kletterte und dann auf der anderen Seite wieder runtersprang. „Brauchst du Hilfe?“
„Mama hat gesagt …“
Sie legte ihren Kopf zur Seite. „Kommst du jetzt oder nicht? Wenn wir näher am Ufer sind, können wir besser sehen.“
Ich wollt mich gerade mit ihr streiten, als die Bomber umdrehten. Sie würden wahrscheinlich erst über uns und in einem weiten Bogen zurück in Richtung Emden fliegen. Sie flogen in der Regel zwei oder drei Angriffe, bevor die Nacht wieder ruhig wurde.
Angetrieben von dem Wunsch, die Bombardierung besser sehen zu können, gepaart mit dem Nervenkitzel, etwas Rebellisches zu tun, griff ich an den Zaun und kletterte hoch. Lianne packte mich an den Schultern, um mir drüber zu helfen, aber dann war ich schon auf der anderen Seite neben ihr und wir rannten runter ans Ufer.
Die Bomber hatten ihren Kreis geflogen und waren über uns. Ich konnte sie genauso gut spüren wir hören.
Ich schaute nach oben, um sie besser sehen zu können. Und dabei stolperte ich und der nackte, kalte Boden traf auf meine Nase.
Schmerzen schossen mir ins Gesicht und in meine Wirbelsäule. Als ich mir an die Nase fasste, fühlte es sich feucht und glitschig an.
„Li!“, schrie ich, doch meine Stimme kam nicht gegen den Lärm der Bomber an. „Li!“
Ich werde nicht weinen. Ich werde nicht weinen. Ich werde nicht weinen.
Es dauerten einen Moment, bevor sie bemerkte, dass ich nicht mehr hinter ihr war. Doch dann waren ihre Hände auf meinen Schultern. Sie hob mich gegen das Licht der Glut, das aus Emden herüberschien und begutachtete mein Gesicht. „Geht es dir gut? Sieht so aus, als hätte es deine Nase richtig gut erwischt.“
Ich nickte und biss mir innen auf die Wange, entschlossen, nicht trotz meines Sturzes wie ein Mann zu verhalten. So, wie es mein Papa mir beigebracht hatte.
„Ich bin über irgendwas Großes gestolpert“, gab ich ihr zu verstehen.
Wir kannten diese Felder so gut wie uns selbst. Und da gab es keine Felsbrocken oder Baumstämme, so wie weiter im Süden in der Nähe des Waldes.
Liannes Blick wanderte von meiner Nase auf den Boden hinter mir. Dann erstarrte ihr Blick. Sie kniff ihre Augen zusammen, die sich dann aber sogleich wieder weiteten, und ihre Hand flog förmlich vor ihren Mund.
Sie bewegte sich nach hinten und mit dem Schwung war sie schon auf ihren Füßen, als ob sie jemand nach oben geschoben hätte.
„Das ist … da vorne liegt jemand.“
Ich sprang auf und war sofort hinter ihr. So, als ob meine Schwester mich von all den Gefahren der Welt bewahren könnte. Tatsächlich lag da eine Gestalt, lang ausgestreckt auf dem Boden, das Gesicht abgewandt, sodass wir es nicht sehen konnten. Das Licht von den Explosionen ließ nur eine Silhouette von dem erkennen, der dort lag.
„Was sollen wir tun?“, fragte ich.
Langsam ging sie einen Schritt nach dem anderen vorwärts.
„Pssst“. Sie hielt einen Finger vor ihrem Mund, während sie mehrere Schritte näher auf die Gestalt zu ging.
Ich dachte, mein Herz würde mir aus meiner Brust schlagen. Meine verängstigten Atemzüge ließen heiße Wolken aus meinem Mund aufsteigen.
Als Lianne sich hinkniete, um den Körper zu berühren, wäre ich am liebsten abgehauen, um Schutz in unserem Haus zu suchen. Aber dann hielt mich doch die Neugier an Ort und Stelle.
„Das ist ein Mann“, sagte sie und sie presste eine Hand an seine Wange. Vorsichtig zog sie an seiner Schulter, sodass er auf dem Rücken zu liegen kam. Dann musterte sie ihn von oben bis unten und legte eine Hand über seinen Mund und seine Nase.
„Er lebt. Aber er scheint zu frieren“, erklärte sie mir. „Und er blutet am Bein.“
„Ist er ein Nazi?“, wollte ich wissen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wer es sonst wagen konnte, mitten in der Nacht blutend auf eines unserer Felder zu liegen.
„Nein, ich glaube nicht“, antwortete sie mir. „Es ist aber auch egal. Er braucht Hilfe. Lauf zurück zum Haus und hol Papa.“
„Li, ich kann dich hier nicht allein lassen –“
„Bauke, geh. Lauf!“